Deutschlands ESC-Kandidaten Abor und Tynna: nicht „bloß ‚dieser ESC-Act von Stefan Raab‘“

Abor und Tynna – eure wahren Namen sind Attila und Tünde Bornemisza. Wofür stehen die Künstlernamen?
Tynna: „Abor“ sind schlicht die Initialen meines Bruders. „Tübor“ fand ich als Namen für mich aber nicht so romantisch. Wir haben deshalb eine einfache Alternative gesucht und das Ypsilon mit eingebaut, weil das „Ü“ auf internationalen Tastaturen nicht so leicht zu finden ist …
Nach eurem Sieg im ESC-Vorentscheid habt ihr euch eher nach innen gefreut. Was war da los?
Tynna: Ich habe mir große Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, mich heftig zu freuen. Meine Reaktion war aus mehreren Gründen etwas zurückhaltend: Ich war krank und extrem erschöpft. Und ich habe bis zum letzten Augenblick nicht damit gerechnet, dass wir gewinnen. Ich war mental nicht darauf vorbereitet. Und als es dann geschah, habe ich in dem Moment gar nichts gefühlt. Ich brauche immer zwei Werktage, um zu verarbeiten, was mit mir passiert. Inzwischen freuen wir uns sehr, dass wir jetzt hier beim ESC sind.
Und mit euch ist Stefan Raab in Basel – als Berater und ESC-Veteran. Welches Bild hattet ihr vorher von ihm?
Abor: Kein bestimmtes. Ich habe ihn als Kind nur einmal oder zweimal in „Schlag den Raab gesehen“, ansonsten kannten wir ihn kaum. Wir hatten in unserer Kindheit zu Hause keinen Fernseher. Außerdem kommen wir aus Österreich – und da war er nicht der größte Superstar.
Max Mutzke hat kürzlich gesagt, er habe Jahre gebraucht, sich von den Stempeln „Raab“ und „ESC“ auf der Stirn zu befreien. Fürchtet ihr diesen Effekt auch?
Tynna: Nein, gar nicht. Wir freuen uns über diese Möglichkeit. Man muss klar sagen, dass Stefan über eine riesige Plattform verfügt. Aber wir haben auch selbst etwas anzubieten. Wir machen jetzt schon länger Musik – mit unserem selbst produzierten Album „Bittersüß“, mit einer gerade in größere Hallen verlegten Tour im Herbst. Es sieht gut aus für die Zukunft. Wir haben deshalb keine Angst, dass wir bloß „dieser ESC-Act von Stefan Raab“ bleiben.
Wie arbeitet ihr? Wie ist der ESC-Song „Baller“ entstanden?
Abor: Manchmal baue ich im Programm FL Studio erst einen Beat, manchmal gibt es erst eine Textidee. Bei „Baller“ hatten wir das Gefühl, jetzt mal etwas Aufregenderes machen zu wollen. Keine traurige Ballade mehr, sondern einen fröhlichen Beat mit Vocal Chops als Effekt …
Das sind kurze Gesangsausschnitte, die digital verdichtet werden …
Tynna: Und das Thema des Songs selbst war noch immer eine Trennung, die ich im vergangenen Sommer verarbeiten musste. Das Lied sollte aber nicht traurig-melancholisch werden, sondern so eine befreiende Wut transportieren, die einen wieder aufbaut und etwas Neues möglich macht. Das war das positive Grundgefühl. Wir suchen dann für den Text meistens nach starken Bildern und Motiven, und da fiel mir die englische Redewendung „Shoot for the stars“ ein – „nach den Sternen greifen“ also. Ich fand die Idee cool, das wörtlich zu nehmen und die Sterne vom Himmel zu schießen. „Ich baller‘ Löcher in die Nacht / Sterne fall’n und knall’n auf mein Dach…“
Diese Trennung war das Leitthema auch auf eurem ersten Album „Bittersüß“, das gerade erschienen ist. Da heißt es: „1000 Dates, jeder nahm sich ein Stück aus meinem Herz mit …“
Tynna: Ja. Ich kann gar nicht anders, als über reale Emotionen zu schreiben. Wie zum Beispiel das Ende dieser Beziehung, das zu dem Zeitpunkt aktuell war. Im Zentrum unserer Musik steht immer ein echtes Gefühl. Es war sicher auch therapeutisch für mich, darüber zu schreiben.
Wie hat eure Mutter auf den sehr persönlichen Song „Mama“ reagiert – mit der Refrainzeile „Die Liebe, die du mir paar Jahre gabst, geb‘ ich weiter an den, der endlich bleibt“?
Abor: Sie hat Tränen vergossen.
Welcher Track ist euch besonders wichtig?
Abor: Meine Lieblinge sind „Katana“ und „Engel in Jeans“.
Tynna: Ich mag „Winnetou“ sehr gerne, ich finde den Sound cool. Und ich finde es gut, dass wir da Passagen auf Ungarisch eingebaut haben.

ARD/NDR EUROVISION SONG CONTEST 2025, "ESC - Das Finale aus Basel", am Samstag (17.05.25) um 21:00 Uhr im ERSTEN. Abor & Tynna singen für Deutschland beim ESC 2025 in Basel. © NDR/Raab ENTERTAINMENT/Willi Weber, honorarfrei - Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter NDR-Sendung bei Nennung "Bild: NDR/Raab ENTERTAINMENT/Willi Weber" (S2+). NDR Presse und Information/Fotoredaktion, Tel: 040/4156-2306 oder -2305, [email protected]
Quelle: NDR/Raab ENTERTAINMENT/Willi Web
Ihr seid in einer Musikerfamilie mit Wurzeln in Ungarn und Rumänien aufgewachsen. Wie wart ihr als Kinder? Laut? Leise? Anstrengend?
Abor: Ich war laut und anstrengend und habe viel geredet. Und meine Schwester war auch anstrengend, aber nicht auf die laute Art. Inzwischen hat sich das genau umgekehrt. Schon weil ich viel nervöser bin vor Kameras als sie.
Tünde Bornemisza (Tynna) über ihren Bruder Attila (Abor)
Ihr wirkt sehr geerdet und in euch ruhend. Seid ihr eurer Sache so sicher, wie es von außen den Anschein hat? Oder täuscht das?
Abor: Ich bin generell ein Typ, der seine Gefühlswelt nicht so gern in der Öffentlichkeit ausbreitet. Mein ernstes Gesicht bedeutet aber nicht, dass ich unserer Sache hundertprozentig sicher wäre. Das bin ich nicht. Ich dachte zum Beispiel auch nicht, dass wir beim ESC-Vorentscheid gewinnen.
Wie viel Zeit verbringt ihr miteinander? Macht ihr zusammen Urlaub?
Abor: Zu zweit nicht, aber mit der ganzen Familie schon. Ich bin inzwischen ausgezogen, Tynna wohnt noch bei unseren Eltern.
Was bedeutet ihr einander? Tynna, was kannst du Gutes über deinen Bruder sagen?
Tynna: Ganz schwierig (lacht). Mein Bruder ist mein emotionaler Anker, ein fester Fels in meinem Leben.
Und umgekehrt?
Abor (überlegt lange): Meine Schwester kommuniziert gut mit der Umwelt
Tynna (lacht): Das hat jetzt aber nicht so viel mit mir und dir zu tun.
Abor: Doch. So wie ich Dir dabei helfe, geerdet zu sein, hilfst du mir, mit der Außenwelt zu kommunizieren.
Es gibt im Pop jede Menge Geschwister, die zusammen Musik machen: die drei Schwestern von Haim, die schwedischen Schwestern von First Aid Kit und natürlich Billie Eilish und ihren Bruder Finneas. Was ist einfacher, wenn man verwandt ist als Musiker?
Abor: Es ist zum Beispiel leichter, sich zeitlich abzustimmen. Es kommt nicht vor, dass Tynna Urlaub mit ihrer und ich Urlaub mit meiner Familie machen will. Es dieselbe Familie, das hilft bei Terminabsprachen.
Tynna: Und es ist sehr praktisch, dass wir uns schon so lange kennen. Es gibt zwar trotzdem noch manchmal Missverständnisse, aber wir können Konflikte viel leichter und schneller lösen, weil wir das auch gewöhnt sind. Wir mussten schließlich unsere ganze Kindheit lang miteinander klarkommen. Wir passen auch musikalisch gut zusammen, weil wir die gleichen musikalischen Ersterfahrungen und Einflüsse erlebt haben. Wenn uns eine Melodie bewegt, dann liegt das oft daran, dass sie uns beide an Irgendetwas erinnert.

"Es ist sehr praktisch, dass wir uns schon so lange kennen": Abor (r.) und Tynna bei einem Auftritt Anfang April 2025 in der Schweiz.
Quelle: IMAGO/Gonzales Photo
Euer Vater ist Cellist bei den Wiener Philharmonikern. Mit welcher Musik seid ihr aufgewachsen?
Tynna: Wir haben beide eine klassische musikalische Erziehung genossen und Instrumente gespielt. Aber gehört haben wir viele Richtungen – zum Beispiel, wenn der Papa auf Urlaubsfahrten mal seinen 80er-Mix in den Player geschoben hat, mit Falco und „Careless Whisper“. Abor hat dann begonnen, elektronische Musik zu hören. Und ich fand das cool.
Jetzt singt ihr für Deutschland beim ESC. Was gefällt euch an der Idee dieses Spektakels?
Abor: Es ist der größte Musikwettbewerb der Welt. Das mag ich.
Ist Wettbewerb in der Musik nicht auch schwierig?
Abor: Das ist richtig, weil es so subjektiv ist. Aber beim ESC wird der Wettbewerb auch nicht todernst genommen, es geht nicht um Blut, Schweiß und Tränen. Es ist ein sehr freundlicher Wettbewerb. Die ganze, bunte ESC-Bubble sorgt dafür, dass es kein schwitziger Kampf ist.
Seid ihr ganz sicher, dass Stefan Raab das nicht anders sieht? Er hat als Ziel nur den Sieg ausgegeben. Birgt das nicht die Gefahr der Enttäuschung?
Tynna: Vielleicht. Aber für uns ist es – ganz ehrlich – auch schon geil, am ESC überhaupt teilnehmen zu dürfen. Man darf nicht vergessen, was das für eine Riesenehre ist. Ich lasse mir den Spaß daran nicht verderben.
Auch nicht von Raab.
Tynna: Nein (lacht). Aber ich gehe schon auch selbst mit dem Anspruch da rein, gewinnen zu wollen. Es ist ein Wettbewerb. Wir wollen gewinnen. Aber das schließt den Spaß nicht aus. Es geht um Musik, nicht um Leben und Tod.

ESC-Veteran, Berater und Rückkehrer: Stefan Raab - hier mit ARD-Programmdirektorin Christine Strobl - begleitet die Geschwister Abor & Tynna beim ESC in Basel.
Quelle: ARD/Raab Entertainment/Willi Web
Jetzt singt also ein österreichisches Geschwisterpaar mit familiären Wurzeln in Ungarn und Rumänien für Deutschland auf Deutsch. Es gab aber auch Gegenwind, vor allem in Österreich. Wie geht ihr damit um?
Tynna: Ich kann mit dieser Kritik nicht viel anfangen. In der ESC-Geschichte ist es ziemlich normal, für ein anderes als sein Heimatland ins Rennen zu gehen, siehe die Kanadierin Celine Dion 1988 für die Schweiz. Österreich und Deutschland teilen immerhin dieselbe Landessprache.
Der Letzte, der beim ESC für Deutschland auf Deutsch sang, war 2007 Roger Cicero mit „Frau’n regier’n die Welt“ in Helsinki.
Tynna: Ich finde das sehr gut, dass unser Lied deutsch ist.
Auch ein guter Platz beim ESC ist keine Garantie für eine stabile Musikerkarriere. Abor, du hast gesagt: „In künstlerischen Berufen ist nicht garantiert, dass deine Arbeit Früchte trägt.“ Wie sieht euer Plan B aus?
Abor: Ich studiere Maschinenbau, meine Schwester Psychologie. Bisher war eher die Musik der Plan B. Inzwischen wollen wir aber Musiker werden und sind zuversichtlich, dass wir uns etablieren können.
Tynna: Ich finde, wir sind jetzt schon Musiker. Für mich hat sich – auch mit dem Album, dem ESC und der Tour – alles andere eigentlich erledigt. Das Thema ist gegessen.
Ruhm und Bekanntheit sind ja seltsame Phänomene, die nicht nur Gutes mit sich bringen. Ist es das alles wert, den Segen der Anonymität zu verlieren und auch zur Projektionsfläche für allen möglichen Irrsinn zu werden?
Abor: Wir haben eine dicke Haut. Wir wissen, dass es immer sowohl verrückte Menschen als auch legitime, konstruktive Kritik gibt.
Tynna: Die nehmen wir uns auch zu Herzen. Alles andere spielt sich im Internet ab. Und damit habe ich im echten Leben nicht viel zu tun. Ich finde es sogar schön, jetzt eine dicke Haut entwickeln zu müssen. Ich glaube, dass mir das persönlich hilft. Ich freue mich darauf. Nicht jeder erhält im Leben diese Möglichkeit.
Was möchtet ihr nach dem ESC fühlen?
Tynna: Freude, Stolz und Zufriedenheit.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
rnd